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Beitrag vom 24.06.2016
Lou Andreas-Salomé. Ab 28. Februar 2017 auf DVD und Blu-ray sowie als VOD
Laura Seibert
Cordula Kablitz-Post bringt mit ihrem Spielfilmdebüt die Biographie der unangepassten Psychoanalytikerin auf die Leinwand, authentisch gespielt von Katharina Lorenz, Nicole Heesters und Liv Lisa Fries und mit Filmmusik der ungarischen Pianistin und Komponistin Judit Varga.
1933 setzt die Handlung des Films in Lous Haus in Göttingen ein, wenige Jahre vor dem Tod Lou Andreas-Salomés. Große Anspannung ist zu spüren. Die Tätigkeit, der sie zuletzt nachging, die Psychoanalyse, wird in der antisemitischen Ideologie der Nationalsozialisten als "jüdische" Wissenschaft diffamiert. Sigmund Freuds Werke werden während der ideologischen Gleichschaltung verbrannt.
Nicole Heesters überzeugt in ihrer Rolle der 72-jährigen, selbstbewussten Psychoanalytikerin. Sie will ihre Erinnerungen festhalten. An der Schreibmaschine sitzend, assistiert ihr dabei ein unerwartet aufgenommener Patient, Ernst Pfeiffer, den sie gegen die Depression mit einer Beschäftigung therapiert. Der Wechsel zwischen Retrospektive und filmischer Gegenwart ermöglicht es, Erinnerungen in den Filmstoff einzuweben, die Andreas-Salomé in ihrem Memoir "Lebensrückblick: Grundriss einiger Lebenserinnerungen" aussparte. Andere Aufzeichnungen verbrannte sie, um den Nazis zuvorzukommen.
Rebellin von Anfang an
1861 in St. Petersburg als Tochter einer adligen Familie geboren, wächst sie als Jüngste von fünf Brüdern auf. Kameradschaftliche Freundschaften, wie Lou sie mit ihren Brüdern führte, verbindet sie im Laufe ihres Lebens meist mit anderen Männern, unter ihnen Friedrich Nietzsche und Paul Rée.
Bereits als Kind (gespielt von Helena Pieske) begehrt sie gegen die ihr zugedachten Kleider und Spiele auf, als Jugendliche (Liv Lisa Fries) entschließt sie sich dazu, ihren Wissensdurst zu stillen – in diesem Zusammenhang eine unpassende Wortwahl, sie hört nie mehr auf, sich zu bilden. Ihr Leben gilt einem ununterbrochenem Studium, 1881 zunächst der Philosophie und Religionswissenschaft an der Universität Zürich, später,mit bereits über fünfzig Jahren, der Psychoanalyse in Wien bei Sigmund Freud.
Entgegen der Hoffnung ihrer Mutter weigert Lou sich, eine Heirat in Erwägung zu ziehen. Zu sehr ist der jungen Frau (Katharina Lorenz) bewusst, dass ihre Eigenständigkeit als Ehefrau und Mutter ein jähes Ende nehmen und ihre Leidenschaft für die Wissenschaft keinen Platz mehr finden würde. Im Spielfilm verkörpert Lous Mutter die Stimme der gesellschaftlichen Moral, die sie immer wieder ermahnt, einer "weiblichen" Biographie zu folgen. Lou schließt aus dem Heiratszwang für Frauen und der Bevormundung ihres Geschlechts die einfache Konsequenz, sich niemals auf eine intime Beziehung mit einem Mann einzulassen.
Die vielleicht erste StudentInnen-WG Berlins
Eine berühmt-berüchtigte Photographie zeigt Lou mit der Peitsche in der Hand, auf einem Karren sitzend, ihre Freunde Paul Rée und Friedrich Nietzsche vor diesen gespannt: Den Ton gab sie an.
Auf Lous Vorschlag will das Trio eine Wohngemeinschaft in Berlin gründen, in der jede_r ein eigenes Zimmer hätte und der Austausch über die intellektuelle Arbeit jederzeit möglich wäre. 1882 ein völlig ungewöhnlicher Traum, in der damaligen Gesetzeslage sogar strafbar. Nietzsches Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche, später von den Nationalsozialisten mit besonderen Ehren bestattet, verabscheut Lou Andreas-Salomé. Nachdem sie von der Planung der WG erfährt, greift sie die Freundin ihres Bruders an und auch die Beziehung zwischen Salomé und Nietzsche eskaliert. Lou empfiehlt Friedrich Nietzsche dringend, sich von seiner Familie zu lösen.
Nach dem Zerwürfnis mit dem Philosophen wird die Idee von Rée und Salomé allein umgesetzt. "Die schmutzige Phantasie liegt immer im Auge des Betrachters.", wehrt Salomé die moralischen Vorwürfe gegen ihr Leben in "wilder Ehe" ab. Dass sie an keiner erotischen Beziehung interessiert ist, betont sie immer und immer wieder, aber kaum einer (!) nimmt das ernst.
Persönliche Revolution statt Emanzipationsbewegung
"Ich bin keine Zuchtstute!", schleudert sie Nietzsche entgegen, als der ihr ekelhaft selbstverliebt davon vorschwärmt, was für schöne Kinder sie zusammen bekommen könnten. Der Spielfilm zeigt eindrücklich, dass es als Frau Ende des 19. Jahrhunderts ein harter Kampf war, intellektuelle Freundschaften mit Männern zu führen, ohne zu einem Liebesobjekt stilisiert oder einer Gebärmaschine degradiert zu werden.
Wider des Mainstreams bricht der Film mit dem Stereotyp der Frau als Muse. Die Karten werden neu gemischt, die Fragen aufgeworfen: Wer ist wessen Inspiration? Warum sollte sie einseitig sein? Salomé ist nicht Muse der Männer, sondern eine eigenständige Denkerin und Schriftstellerin. Sie bricht mit vorherrschenden Rollenbildern, entscheidet darüber, wie ihre Beziehungen sich gestalten. Mitte dreißig lässt sie sich auf eine Scheinehe ein, auf Liebhaber ebenso, und entgegen jeder Konvention ist ihr Ehemann finanziell abhängig von ihr.
Wer war Lou Andreas-Salomé?
Als Orientierung für das filmische Erzählen dienten den Drehbuchautorinnen Cordula Kablitz-Post und Susanne Hertel die Erinnerungen, die Lou Andreas-Salomé in der gemeinsamen Arbeit mit Ernst Pfeiffer aufschrieb. Die autobiographische Schrift gestaltete Lou allerdings sehr in ihrem Sinne, Auslassungen sind also eher die Regel als die Ausnahme. Weitere Recherchen der Drehbuchautorinnen flossen ergänzend in die biographische Darstellung ein – ihr Anliegen galt einer realistisch-historischen Perspektive.
Teilweise sind aus diesem Anspruch der Vollständigkeit etwas gehetzte Sequenzen entstanden. So umfasst der fast zweistündige Film ein Defilee ihrer Liebhaber und Verehrer, der berühmteste unter ihnen ist Rainer Maria Rilke – Stoff, der den fast zweistündigen Film ein wenig überlädt.
Wer Lou Andreas-Salomé war, ist unmöglich zu beantworten. Katharina Lorenz lotet die Unergründlichkeit der Salomé in ihrer Interpretation gekonnt aus. Die aufgezeigte Komplexität ihrer Biographie lässt einige neugierige Fragezeichen stehen, die zum Weiterlesen in der ausführlichen Biographie "Lou Andreas-Salomé. Der bittersüße Funke Ich" von Kerstin Decker einladen.
Die Kulisse des Fin de Siècle
Alte Fotos und Ansichtskarten in den Händen der älteren Lou bilden häufig den fließenden Übergang zwischen Retrospektive und (filmischer) Gegenwart. Der Spielfilm wechselt zwischen Aufnahmen der realen Welt und illustrierten, zweidimensionalen Sequenzen, als deren visuelles Vorbild Postkarten dienten und in die Zeit des Übergangs zwischen 19. und 20. Jahrhundert zurückversetzen. Zum atmosphärischen Eintauchen in den Film trägt auch die musikalische Komposition von Judit Varga bei, mit Klavier und Streichinstrumenten statt pompösem Orchester. Vor diesem musikalischen und visuellen Hintergrund bewegt Lou sich als animierte Figur auf den Plätzen ihrer Reisen und Wohnorte, darunter Berlin, Zürich, St. Petersburg, Südtirol. Die lebendige Lou in den illustrierten Kulissen, ursprünglich auch aus einer finanziellen Notwendigkeit entstanden – der Film hatte ein relativ begrenztes Budget von 2,26 Millionen Euro – gelten für die Regisseurin Cordula Kablitz-Post als gelungenes Sinnbild für die Beziehung zwischen der Ausnahmeperson und dem Fin de Siècle. Lou war sozusagen "aus der Zeit gefallen. Im Grunde war sie ihrer Zeit 100 Jahre voraus."
AVIVA-Tipp: Ein bewegender Spielfilm, der eine außergewöhnliche Intellektuelle vorstellt, mit Katharina Lorenz und Nicole Heesters, die wie geschaffen sind für ihre Rollen. Lou Andreas-Salomé, in ständiger Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Konventionen, beeindruckt durch Unabhängigkeit, Willensstärke und konsequenten Non-Konformismus. Ihre Biographie legt das Augenmerk auf tradierte Rollenbilder und Zwänge, und zeigt, welche Anstrengungen eine Frau im 19. Jahrhundert für ein selbständiges Leben auf sich nehmen musste. In der Forderung nach Geschlechtergerechtigkeit macht der Film Mut zur Kompromisslosigkeit.
Zur Regisseurin: Cordula Kablitz-Post, geboren 1964 in Aachen, studierte in München und Berlin Germanistik, Theaterwissenschaften und Anglistik. Ende der 80er Jahre begann sie als Regieassistentin mit der Arbeit beim Film, es entstanden Kurzfilme wie "Helena" (1989) und "Die Falle" (1990). Für diverse Fernsehsender produzierte sie in den letzten zwei Jahrzehnten dokumentarische Formate mit einem Fokus auf KünstlerInnenporträts, sowie Satiresendungen, welche in der Zusammenarbeit mit Christoph Schlingensief entstanden. Unter den MusikerInnenporträts ist "Nina Hagen – Godmother of Punk". "Lou Andreas-Salomé" ist der erste Kinospielfilm der Regisseurin und Drehbuchautorin.
Die meisten ihrer Filme produziert Kablitz-Post selbst, 1994 gründete sie die Medusa Film- und Fernsehproduktion, 1995 gemeinsam mit Edda Baumann-von Broen die avanti media, 2001 schließlich die avanti media fiction GmbH.
2006 erhielt sie den Grimme-Preis Spezial für die Arte-Reihe "Durch die Nacht mit…".
Weitere Infos zur Regisseurin:
www.filmportal.de
Lou Andreas-Salomé
D 2016
Regie: Cordula Kablitz-Post
Drehbuch: Cordula Kablitz-Post und Susanne Hertel
Mit: Katharina Lorenz, Nicole Heesters, Liv Lisa Fries, Katharina Schüttler u.v.m.
Musik: Judit Varga
Lauflänge: 113 Min.
Ab 28. Februar 2017 auf DVD und Blu-ray sowie als VOD
Verleih: Wild Bunch Germany / EuroVideo Medien
www.wildbunch-germany.de
Ausstattung DVD und Blu-ray:
Umfangreiches Bonusmaterial (ca. 58 min.) mit Making-of, B-Roll und Interviews mit Cordula Kablitz-Post (Autorin, Regisseurin & Produzentin), Katharina Lorenz (Lou Andreas-Salomé 20-50 Jahre), Nicole Heesters (Lou Andreas-Salomé 72 Jahre), Liv Lisa Fries (Lou Andreas-Salomé 16 Jahre), Alexander Scheer (Friedrich Nietzsche) und Julius Feldmeier (Rainer Maria Rilke)
Audiodeskription und deutsche Untertitel sowie englische Untertitel für Hörgeschädigte
Sonderedition DVD: Im hochwertigen Schuber inklusive Booklet mit vielen Informationen rund um den Film und die ProtagonistInnen.
Weiterführende Links:
"Lebensrückblick: Grundriss einiger Lebenserinnerungen" von Lou Andreas-Salomé als frei zugängliche Online-Ressource:
gutenberg.spiegel.de
Lou Andreas-Salomé im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek:
portal.dnb.de
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Kerstin Decker - Lou Andreas-Salomé. Der bittersüße Funke Ich
Ein "Frauenzimmer von gefährlicher Intelligenz" wurde sie von Sigmund Freud genannt, einem ihrer Lehrer. Herausragende Intelligenz gilt noch heute – seien wir ehrlich – mehr als unweibliches, denn als weibliches Attribut. Lou Andreas-Salomé kümmerte das schon im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts wenig. (2011)
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